Wenn Ernährungsempfehlungen ins Leere laufen…

Von Florian Kubisiak

Du nimmst dir vor, gesünder zu essen – weniger Zucker, mehr Vollkorn, mehr Bewegung. Doch du kommst gar nicht in die Pötte, oder gibst irgendwann wieder auf. Aber warum ist das so?
Es kann schnell der falsche Eindruck entstehen, wir seien einfach undiszipliniert oder irgendwie defekt im Vergleich zu so manchen Influencern. In diesem Beitrag erfährst du warum das nicht stimmt:

Warum reine Ernährungsempfehlungen scheitern – und die Psychologie den Unterschied macht

Klassische Ernährungstherapien sahen lange so aus, dass sie vorgeben was zu tun und zu lassen ist. Es mangelt aber selten am Wissen, sondern vielmehr daran, dieses Wissen in den eigenen Alltag zu integrieren. Und das passiert, wenn die Beratung oder der gute Vorsatz an der Lebensrealität vorbei geht. Oft sind wir uns nicht völlig klar, warum wir so essen, wie wir essen und erkennen nicht, was für Herausforderungen die geplante Änderung mit sich bringt. Ernährung ist eben kein rationales Thema. Sie kann einige psychologische Funktionen erfüllen. Von der Selbstregulation bis hin zur Verstärkung des Gemeinschaftsgefühls in einer Gruppe. Außerdem ist sie ein Ausdruck von z.B. Identität, Selbstgefühl oder Selbstfürsorge.

Klientenbeispiel (Ausklappen)

Stell dir eine Person vor, die neben gesundheitlichen Problem vor der Herausforderung einer „Essensdepression“ steht. Das Gespür, was schmeckt und was gekocht werden soll fehlt einfach. Es gibt keinen Zugang. Essen macht einfach irgendwie keinen Spaß und ist nicht mehr genussvoll. Anstattdessen wird einfach irgendwas reingeschoben, weil man ja irgendetwas essen muss. Es stellt sich im Laufe des Kennenlernens heraus, dass sich diese Person insgesamt kaum Raum gibt zwischen Arbeit und Familie. Jetzt fehlt der Selbstbezug und die Selbstfürsorge. Anstatt Rezeptideen zu diskutieren, macht es an dieser Stelle mehr Sinn immermal wieder anzureißen, ob die Person damit denn zufrieden ist, um einen Änderungswunsch zu bahnen. Anschließend kann man darüber zu sprechen, welche Strategien helfen, sich mehr Raum zwischendurch zu geben und dabei einen guten Selbstbezug herzustellen. Im Zuge der Therapie entdeckt sich die Klientin neu und gewinnt als kleinen Bonus eine gesunde Ernährung nebenbei – mittlerweile ein Ausdruck von Selbstfürsorge.

Selbstmanagement & Selbstregulation

Insbesondere wenn wir ein Ziel haben, das wir nachhaltig verfolgen wollen, müssen wir äußerliche Bedingungen mit unserer inneren Welt in Einklang bringen. Bei einem solchen Prozess spielen eine Menge wichtige Themenblöcke eine Rolle!
Im Verlauf unseres Lebens wurden solche Faktoren gepägt, wie wir uns selbst managen und regulieren. Wir haben gelernt, was am wenigsten Stress auslöst. Wenn wir nun aber etwas an diesem System verändern möchten, müssen wir bewusst mit den Beanspruchungen für unser System umgehen, die eine Veränderung nachsichzieht. Wir müssen neue, funktionierende Alternativen identifizieren, die unsere Bedürfnisse in Einklang mit mit den Erfordernissen unserer Umwelt bringen und umgekehrt. Tatsächlich ist die Kapazität zur Selbstkontrolle und Resilienz höher, wenn wir uns bewusst damit auseinandersetzen.

Hier eine grobe Übersicht (Ausklappen)
  1. Der Kontext, in dem sich eine Person befindet
  2. Muster in der Realitätswahrnehmung und -interpretation
  3. Köperbild & Körperwahrnehmung z.B. Interozeption oder Affekte
  4. emotionale und affektive Verarbeitung
  5. Motiventfremdung
  6. Motivkongruenz zwischen Zielen und Bedürfnissen
  7. Intrinsische bzw. extrinsische Motivation
  8. Selbstreflexion
  9. Intention und Volition, Entscheidungen treffen und Handeln

Vertiefung für alle, die das genauer wissen wollen:
Hier gehe ich genauer auf die Begriffe ein – und warum das für Beratung oder Selbstveränderung so wichtig ist!
🎥 In meinem 10-minütigen KI gestützem Video erfährst das genauer!

Schlüsselkompetenzen sind daher Achtsamkeit und Selbstreflexion: Achtsamkeit bedeutet, dir selbst wieder zuzuhören – statt automatisch zu reagieren. Und Selbstreflexion hilft, deine eigenen Muster zu erkennen: Warum esse ich gerade? Was fühle ich davor, dabei und danach?

Psychologie und Essverhalten

Essverhalten ist stark durch psychophysiologische Prozesse wie Interozeption geprägt – also die Fähigkeit, innere Signale wie Hunger, Sättigung oder Anspannung wahrzunehmen. Z.B. bei emotionalem Essen ist dieser Zugang oft überlagert. Die Frage ist nicht: Warum isst ein Klient*in zu viel? Sondern: Was fehlt, wenn sie es nicht tun?
Natürlicherweise essen wir, wenn wir körperlich hungrig sind und hören wieder auf, wenn wir satt sind. Im Gegensatz dazu beschreibt ein hoher Grad an interner Disinhibition, dass man auf Gedanken und Gefühle schnell mal mit essen reagiert. Das zeigt schon, wie untrennbar Psyche und Ernährung für manche Menschen sind. Und diese Sensibilität brauchen wir in der Ernährungsberatung!

Impulse für Ernährungsfachkräfte (Ausklappen)

Welche Funktion erfüllt dieses Essverhalten für mein Klient:inn?
Wovor schützt es sie?
Und was würde ohne dieses Verhalten unreguliert bleiben?
Was wird durch das Essen ausgedrückt, unterdrückt oder reguliert, das verbal nicht zugänglich ist?
Welche Ambivalenzen treten auf, wenn das Essverhalten verändert werden soll – und wie gehe ich damit in der Beratung um?
Welche Rolle spielt meine eigene Haltung zu Essen, Kontrolle und Disziplin im Beratungsprozess?
Inwiefern fördert meine Beratung die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ohne gleich in Bewertung oder Kontrolle zu kippen?
Und wie gehe ich damit um, wenn Achtsamkeit ambivalente oder unangenehme Zustände sichtbar macht?

Zwischen Hunger und Halt: Was hinter unserem Essverhalten steckt

Wer Essverhalten ändern will, muss verstehen: Es geht nicht nur um Disziplin, sondern um Verbindung zur eigenen Gefühlswelt, zum Körper und zu echten Bedürfnissen. Kommentier doch mal deine Gedanken zu dem Thema!
Im nächsten Beitrag zeige ich, wie du Ambivalenzen bei dir und Klientinnen erkennen und produktiv nutzen kannst. Also schau unbedingt wieder vorbei!

Verfasst von Florian Kubisiak

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