Ernährungsvorschriften vs. Ernährungspsychologie?

Du nimmst dir vor, gesünder zu essen – weniger Zucker, mehr Vollkorn, mehr Bewegung. Vielleicht wurde dir das von deinem Arzt empfohlen. Doch du kommst gar nicht in die Pötte, oder gibst irgendwann wieder auf. Aber warum ist das so?
Es kann schnell der falsche Eindruck entstehen, man sei einfach undiszipliniert oder irgendwie defekt im Vergleich zu so manchen Influencern. In diesem Beitrag erfährst du warum das nicht stimmt.

Psychologie und Essverhalten

Essverhalten ist stark durch psychophysiologische Prozesse geprägt. Interozeption – also die Fähigkeit, innere Signale wie Hunger, Sättigung oder Anspannung wahrzunehmen- ist beim sehr bedeutsam für die Ernährungspsychologie. Denn, wenn du nicht zuzuhören kannst, kannst du auch nicht differenzieren, ob du aus Hunger isst oder „nur“ um dich psychisch zu regulieren. Das nennt man dann emotionales Essen. Die Frage ist nicht: „Warum esse ich zu viel?!“, sondern: „Was würde fehlen, wenn das emotionale Essen ausbleiben würde?“.
Natürlicherweise essen wir, wenn wir körperlich hungrig sind, und hören wieder auf, wenn wir satt sind. Also intuitive Ernährung.
Hedonismus ist grob gesagt der Impuls, uns etwas Gutes zu tun – teilweise ungeachtet rationaler Vernungt. Die Bereiche im Gehirn, die mit Heodnismus in Verbindung gebracht werden, werden aktiver, wenn wir hungrig sind. So motiviert uns, unser Körper zu essen, wenn wir hungrig sind. Hedonismus, kann aber auch durch andere Faktoren aktiviert werden. Das bedeutet nicht automatisch, dass wir immer zum Essen greifen, aber manche Menschen reagieren leichter mit Essen, auch wenn sie nicht hungrig sind als andere. Außerdem ist gutes Essen theoretisch immer verfügbar.
Der Grad, zu welchem wir auf Gedanken und Gefühle schnell mal mit Essen reagiert, nennt man interne Disinhibition. Das alles zeigt schon, wie untrennbar Psyche und Ernährung für uns Menschen sind. Und diese Sensibilität brauchen wir in der Ernährungsberatung!

Warum Psychologie den Unterschied macht!

Klassische Ernährungstherapien haben lange Zeit versucht, uns beizubringen, wie gesunde Ernährung aussehen sollte. Diese Vorstellung eines normativen Bildes, das uns einen Rahmen vorgibt, wie wir uns ernähren sollten. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht höchst kritisch: Auf der einen Seite können Ernährungswissenschaftler wie ich so leicht kommunizieren, was die Wissenschaft sagt, andererseits löst das bei vielen Menschen Druck aus, sich anders zu ernähren und verstärkt oft den externen Einfluss auf das Essverhalten und führt nicht zu einer Veränderung von innen heraus. Was immer nachhaltiger ist. Zudem entfremden sich viele von sich selbst, um diese Vorgaben und ihre Ziele umzusetzen – zumindest vorrübergehend.

Stell dir vor, deine Ernährung wäre ein Baukastensystem. Jeder bringt ein ganz individuelles Set an Bausteinen mit, um daraus ein Essverhalten zu bauen. Wenn die Steine gut zusammen passen und das Konstrukt stabil ist, könnte man das gesund nennen. Dabei musst du natürlich berücksichtigen, wie abwechslungsreich und veränderlich die Basis sein kann, auf der dein Konstukt steht, weil dein Leben nunmal auch nie völlig gleichbleibt. Es ist schon ziemlich schwierig zu lernen, wie man auf diese Weise etwas Stabiles bauen soll.
Ernährungsempfehlungen könnte man mit einer Bauanleitung vergleichen. Sie können dir Ideen geben, was du aus deinen Steinen bauen könntest und dir eine Orientierung geben kann, was wissenschaftliche Forschung als robust ansieht.
Aber letztlich brauchst du ein Gespür oder eine Vision, wie du aus deineb Bausteineb etwas formen könntest, das wirklich zu dir passt und stabil ist. Auf lange Sicht, ist jedes Vorhaben letzlich zum scheitern verdammt ohne dieses Gespür. Darum ist es so wichtig zu lernen, auf deine inneren Signale zu hören, sie differenziert zu interpretieren und Entscheidungen zu treffen, die mit dir im Einklang sind. Darum spielt die Psychologie eine so große Rolle in der Ernährung. Und ein Vorhaben, wie weniger Zucker, mehr Vollkorn, mehr Bewegung, wirkt ohne Kontext jetzt fast schon ein bisschen plump, oder?

Klientenbeispiel (Ausklappen)

Stell dir eine Person vor, die neben gesundheitlichen Problemen vor der Herausforderung einer „Essensdepression“ steht. Das Gespür, was schmeckt und was gekocht werden soll, fehlt einfach. Es gibt keinen Zugang. Essen macht einfach irgendwie keinen Spaß und ist nicht mehr genussvoll. Anstatt dessen wird einfach irgendwas reingeschoben, weil man ja irgendetwas essen muss. Es stellt sich im Laufe des Kennenlernens heraus, dass sich diese Person zwischen Arbeit und Familie insgesamt selbst kaum Raum gibt. Jetzt fehlt der Selbstbezug und die Selbstfürsorge. Anstatt Rezeptideen zu diskutieren, macht es an dieser Stelle mehr Sinn immermal wieder anzureißen, ob die Person damit denn zufrieden ist, um einen Änderungswunsch zu bahnen. Anschließend kann man darüber zu sprechen, welche Strategien helfen, sich mehr Raum zwischendurch zu geben und dabei einen guten Selbstbezug herzustellen. Im Zuge der Therapie entdeckt sich die Klientin neu und gewinnt als kleinen Bonus eine gesunde Ernährung nebenbei – mittlerweile ein Ausdruck von Selbstfürsorge.

Wie steuern wir uns eigentlich selbst?

Bei einem solchen Prozess spielen eine Menge Themenblöcke eine wichtige Rolle. Insbesondere wenn wir ein Ziel haben, das wir nachhaltig verfolgen wollen, wie Ernährung, müssen wir äußere Begebenheiten und unsere innere Welt in Einklang bringen. Manchmal müssen wir uns anpassen, manchmal passen wir unser Umfeld an. Manche Menschen gehen so relativ harmonisch, mit keinem oder minimalen inneren Widerstand durchs Leben, andere tragen einen inneren Konflikt mit sich und fühlen sich dabei vielleicht innerlich zerissen zwischen Genuss und Disziplin. Letztlich sind auch Erfahrungswerte ausschlaggebend, welche Strategien sich bewährt haben.

Hier eine grobe Übersicht der Themenblöcke (Ausklappen)
  1. Der Kontext, in dem sich eine Person befindet
  2. Muster in der Realitätswahrnehmung und -interpretation
  3. Köperbild & Körperwahrnehmung z.B. Interozeption oder Affekte
  4. emotionale und affektive Verarbeitung
  5. Motiventfremdung
  6. Motivkongruenz zwischen Zielen und Bedürfnissen
  7. Intrinsische bzw. extrinsische Motivation
  8. Selbstreflexion
  9. Intention und Volition, Entscheidungen treffen und Handeln

Vertiefung für alle, die das genauer wissen wollen:
Hier gehe ich genauer auf die Themenblöcke ein – und warum das für die Ernährung so wichtig ist!
🎥 In meinem 10-minütigen KI-gestützten Video erfährst du das genauer!

Im Verlauf unseres Lebens wurden wir geprägt, wie wir uns selbst managen und regulieren. Wir haben gelernt, welche Strategien am wenigsten Stress auslösen. Wenn wir nun aber etwas an diesem System verändern möchten, müssen wir bewusst mit den Beanspruchungen für unser System umgehen, die eine Veränderung nach sich zieht. Wir müssen neue, funktionierende Alternativen identifizieren, die unsere Bedürfnisse in Einklang mit den Erfordernissen unserer Umwelt bringen und umgekehrt. Tatsächlich ist die Kapazität zur Selbstkontrolle und Resilienz höher, wenn wir uns damit bewusst und mit Selbstmitgefühl auseinandersetzen. Schlüsselkompetenzen sind dabei Achtsamkeit und Selbstreflexion: Achtsamkeit bedeutet, innerlich zu entschleunigen und sich selbst wirklich zuzuhören statt zu reagieren. Und Selbstreflexion hilft, eigene Muster zu erkennen und zu verändern: Warum esse ich gerade? Was fühle ich davor, dabei und danach? Was bedeuten diese Infos für mich?

Impulse für Ernährungsfachkräfte (Ausklappen)

Welche Funktion erfüllt dieses Essverhalten für mein Klient:inn?
Wovor schützt es sie?
Und was würde ohne dieses Verhalten unreguliert bleiben?
Was wird durch das Essen ausgedrückt, unterdrückt oder reguliert, das verbal nicht zugänglich ist?
Welche Ambivalenzen treten auf, wenn das Essverhalten verändert werden soll – und wie gehe ich damit in der Beratung um?
Welche Rolle spielt meine eigene Haltung zu Essen, Kontrolle und Disziplin im Beratungsprozess?
Inwiefern fördert meine Beratung die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ohne gleich in Bewertung oder Kontrolle zu kippen?
Und wie gehe ich damit um, wenn Achtsamkeit ambivalente oder unangenehme Zustände sichtbar macht?

Zwischen Hunger und emotionalem Halt – was hinter unserem Essverhalten steckt

Wer Essverhalten ändern will, muss also verstehen: Es geht nicht nur um Disziplin, sondern um Verbindung zur eigenen Gefühlswelt, zum Körper und zu Bedürfnissen. Kommentiere doch mal deine Gedanken zu dem Thema!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert